Architekturbiennale Venedig 2008

 

Der Termin stand lange fest, im Herbst sollte es zur Architekturbiennale nach Venedig gehen. Ein alter Palazzo in der Venedig-005Lagunenstadt versprach ein relativ preisgünstiges Quartier mit dem Charme des Morbiden; armenische Mönche sollten uns aufnehmen. Wir waren gespannt. Zu viel Romantik – erfuhren wir, als wir in der Nacht dort eintrafen und unsere mehr als bescheidenen Zimmer bezogen. Was  wohlwollend als „pittoresk“ bezeichnet werden könnte, war bei Licht betrachtet unorganisiert und  lieblos. Die Absicht, während der Renovierungsphase des Jahrhunderte alten Klosters, die Heizkosten durch Logisgäste zu finanzieren, fiel zu arg ins Auge. Das Frühstück hatte allerdings den Charme der 60er Jahre und sprach die  Nostalgiker in der 10köpfigen Gruppe an: bitterer Café mit trockenen, milchweißen Brötchen, Marmelade in Döschen und vor allem die kleine Schmelzkäseecke.

Die Architekturbiennale war der Grund für den Dreitagetrip nach Venedig. Aber was eine Lagunenstadt ausmacht, wie sie entstand, wie sie sich architektonisch entwickelt hat, wie sich vor 22 Jahren zu der Kunstbiennale eine Architekturbiennale gesellte, all das  wäre uns ohne die geistreiche wie lebhafte Führung von  Clubschwester (Professor) Ingeborg Flagge verborgen geblieben. Es ist eine ihrer Stärken, im lockeren Gespräch die unterschiedlichen Interessen der Machthaber, die Widrigkeiten, ja Feindseligkeiten des Alltags über mehrere Jahrhunderte so engagiert zu schildern, dass  die Einordnung leicht fällt. So muss eine gute Führung durch komplexe, bisweilen sehr „moderne“ bis unbegreifliche Ausstellungstopografie aussehen. Die Wurzeln einer Kultur führen zum Verständnis des Gegenwärtigen, das wurde bewusst. Aber beileibe muss sich nicht alles erklären lassen, denn Plattheiten sind genauso zu sehen, wie Subtiles, Originelles und Aktuelles. Absolutes Highlight war der skandinavische Pavillon von Sverre Fehn, der von diesem genialen Architekten  schon 1954 für die erste Kunstbiennale erbaut worden war. Nach mehr als 50 Jahren ist der Bau zeitlos schön geblieben mit seinem indirekten, natürlichen Licht und der Integration von Bäumen, die auf dem Gelände standen, bevor er das Grundstück bebaute. So verfährt der Architekt auch heute mit den Aufträgen, das belegte in wunderbaren Bildern die Ausstellung in diesem Pavillon: die Landschaft gibt ihm den Impuls für das entstehende Gebäude. Der japanische Pavillon, ein Ausbund an Filligranität: auf  nackte weiße Wände hat der Künstler Ishigami mit Bleistift ! winzige Blättchen zu Bäumen gemalt, über und über florale Ornamente auf die Wände gezaubert,  so zart, dass der Besucher ganz dicht an sie herantreten muss. Und dann entdeckt er die Geschichten, die der Maler erzählt, denn überall finden sich kleine handelnde  Figuren. Ishigami, könnte meinen, sei ein malender Poet. Keiner hatte erwartet, dass nach dem langen Tag in den „Giardinis“ von Venedigs die Neugier mehr gestiegen, als befriedigt worden war. Dort, wo die Nationen-Pavillons seit vielen Jahrzehnten  einmal mit  Kunstwerken, im nächsten Jahr  mit Architekturprojekten ausgestattet werden, war die Lust auf mehr geweckt. Um es kurz zu machen, es war am Nachmittag, als wir Serbien erreichten. Ingeborg gab zu, diesen Pavillon kenne sie noch nicht, betitelt war die Schau mit „Wohnlich“. Im großen Innenraum lagen Futons. Wie große Wohnlandschaften luden sie die Besucher ein, sich auf weichen Wildlederlagern niederzulassen, eine hochwillkommene Aufforderung nach einem langen Marsch durch viele Pavillons – und das Ende der ersten Führung.

Die Giudecca liegt wie eine Sichel vor dem Stadtkern Venedigs. Hier   leben heute die Dienstleister der Touristikwirtschaft, denn von nichts anderem lebt die Stadt heute. Nicht vom Salz, das einmal den Reichtum begründete, nicht vom weltweiten Handel, nicht vom Schiffsbau. Auf die Giudecca  kommen nur die kundig Geführten, die  Neugierigen, die länger als einen Tag die Stadt besuchen. Hier spielen noch Kinder und  Wäsche hängt  auch  zwischen den Häusern auf der Leine. Hier gibt es den Wein, den die Bewohner Ombre nennen, es ist das kleine Glas Wein im Schatten des Doms. Die Kennerin Ingeborg  weiß das alles und führt uns an die Stätten, wo Nepp nicht auf der Karte steht und die Architektur nicht von der Biennale berührt wird, sondern vom Alltag erzählt, von Gewerkschaftshäusern, jungen und alten Menschen. (Ute Pauling)