Besuch der Insel Hombroich – ein Gesamtkunstwerk

Treulich geführt von Ingeborg Flagge, Fachfrau für ästhetische Wahrnehmung im Club Bonn-Siebengebirge

Die schönste Zeit für einen Ausflug auf die Kunstinsel Hombroich ist der Januar zwar nicht, aber wenn Ingeborg Flagge eine Führung über das Gesamtkunstwerk anbietet, kommt, wer eben kann, mit allem, was gegen schlechtes Wetter zum Einsatz zu bringen ist und stellt sich selbst auf Genuss ein. Dabei begünstigt  die kahle Vegetation gleich zu Beginn auf erhöhtem Standpunkt einen Überblick.  Ingeborg Flagge nutzt das geschickt aus, als habe sie eine Landkarte in der Hand, die uns eine erste Orientierung gibt: Die Erft hat hier einen Arm um die vor uns liegende Auenlandschaft gelegt und so ein Fleckchen Erde isoliert, von dem unsere Clubschwester weiß, dass es sich um historischen Boden handelt. Zwei römische Villen wurden hier ausgegraben, später legte der berühmte  Landschaftsgestalter Lenné  eine  streng geometrische Gartenanlage an. Zuletzt ließ ein Herr De Werth den Park im Stil englischer Gärten umbauen, dann verwilderte das Terrain.
1982 erwarb ein potenter Kunstsammler aus Düsseldorf die Insel bei Neuss, um hier seine umfangreiche Sammlung zu präsentieren. Karl-Heinrich Müller,  erfolgreicher Immobilienhändler, beauftragte den Düsseldorfer Bildhauer Erwin Heerich  (Beuys-Schüler) mit dem Bau von elf Pavillons. Sie sollten –  in der Auenlandschaft verstreut –  eine Bühne für seine ungewöhnlichen Unikate aus aller Welt sein,  also elf weitere Kunstwerke in Form von Architektur.
Auf einen ersten Blick wächst dicht vor uns ein  Pavillon sehr harmonisch aus der Aue, ein Backstein verkleideter  Turm mit quadratischem Grundriss . Knapp ein Dutzend Clubschwestern treten ein: Innen klares Weiß, reiner Beton, betörende Akustik. Ein Kunstwerk für sich – kein Ausstellungsraum, aber möglicher Ort einer ersten Meditation. Wir ahnen, was gemeint ist, als wir den leeren Turm verlassen.
Karl-Heinrich Müller wollte kein Museum im üblichen Sinn, er suchte das Experiment in der Landschaft. Es wurde ein Freilichtmuseum mit einem Kunstparcours, auf dem jeder seinen Weg  geht. Draußen oder drinnen. „Mit dem Bauch sehen“ umschreibt Ingeborg Flagge sein Anliegen. Das nächste, ein deutlich größeres Gebäude, nennt er Labyrinth, weil es dazu einlädt, sich zu verlieren, so viele Wege sind möglich bei Betrachtung der unterschiedlichsten Kunstwerke. Graupner, Arp, Lovis Corinth, Yves Klein um nur einige zu nennen, die vielleicht erkannt werden, überraschenderweise fehlen sämtliche Beschreibungen, sodass der Besucher leicht irritiert durch die Ausstellung meandert. Damit fällt er zwangsläufig auf sich selbst zurück und erlebt Kunst aus einer anderen Perspektive – der ureigenen. Von nichts geprägt als der  eigenen Erfahrung, dem Erleben und Empfinden. „Sieht mit dem Bauch“ – die einzige Absicht.
Wie nach einer geheime Choreografie findet jeder zu einem der Ausgänge – betört von so unterschiedlichen Eindrücken, wie sie selten so dicht auf einmal zusammenkommen. Das hat einen Grund: Müller war ein Kunstsammler ohne Konzeption. D.h. er sammelte nicht nur Werke aus einer bestimmten Zeit oder Region, nein, er sammelte, was er mochte, „kompromisslos“, kommentiert Ingeborg Flagge.
Der indische Elefantengott in Sichtweite zur klassischen Moderne, und  neben koreanischen Tempelfiguren 2400 Jahre alte Gebrauchsgegenständen aus heimischer Produktion.
Wieder Natur unter den Füßen stolpern wir durch eine struppige Vegetation mit verblasstem Grün und hier und da einem Büschel von Schneeglöckchen. Reste einer Buchsbaumanlage erinnern an Lenné. Sie liegt neben einer weiteren „Skulptur“ Heerichs, wieder in der Außenansicht der typische Backsteinbau, jetzt wie  zwei ineinander geschobene Zylinder, einer bündelt  das Südlicht, ist ganz verglast: „eine Art Hülle nach Innen mit einer Wahnsinnsakustik“ beschreibt Ingeborg Flagge die Intention des Erbauers.
Wir passieren eindrucksvolle Kopfweiden und bald erscheint ein Landschaftsobjekt, mit dem schon keiner mehr gerechnet hat – so sehr warten alle auf den nächsten Pavillon:  Ein Thingplatz, Ort germanischer Gerichtsbarkeit,  erscheint mit  27 Sitzen  im großen Rund von Annatoll dem Inselkünstler, der hier lebt und sich immer noch einbringt.
Dem Weg folgend erreichen wir  das „12 Räumehaus“ . So  geometrisch wie seine Bauten sind auch Heerichs bildnerischen Kunstwerke, die uns im ersten Raum in ziemlicher Dimension erwarten: Die gebrochene Linie, der zerlegte Kreis seine künstlerischen Mittel, sein Material kühles Stahl. In diesem 12-Räumehaus ist er in Gesellschaft hochkarätiger Kollegen: Matisse, Calder, Chillida, Picabia und Künstlern aus Afrika und Asien.
Wieder wird deutlich, wie sehr sich der Düsseldorfer Müller als Sammler einer Art  Weltkulturerbes verstanden hat. Alle Kulturen wusste er gleichberechtigt zu schätzen, das ist seine Idee – ganz ähnlich der Botschaft  des Hagener Sammlers Karl Ernst Osthaus, der seine Idee Anfang des 20. Jahrhunderts „Folkwang“  nannte und die heute noch im gleichnamigen Museum in Essen zu sehen ist.
Und ein letztes Mal soll uns Heerich verwirren: Die Schnecke – ein Haus, fast wie ein Dreieck gebaut, hat einen gläsernen Innenhof. Das Licht daraus fällt auf die vielen Zeichnungen entlang der Wände. Auf  Entwürfe und Skizzen, Rötel, Aquarelle und Radierungen namhafter Künstler aus unterschiedlichen Epochen.
Ein letzter Heerich-Bau präsentiert ganz profane Objekte: Essen und Trinken – so schlicht wie die Landschaft. Beides tritt nicht in Konkurrenz mit dem Gesehenen – die Gespräche indes haben ein Thema: Begeisterung. Wiederkommen wollen alle, wenn der Park sich in Blüte präsentiert. Die anspruchsvolle Führung durch ein Paradies ist beendet. Alle Clubschwestern wissen um die fundierten Kenntnisse der erfahrenen Professorin, die keine Mühe scheut, uns die Augen zu öffnen. Für das nächste Ereignis mit Kultstatus fahren wir nicht 100 km, es sind 1300 – und die Flüge in die Toskana sind bereits gebucht. (Ute Pauling)